Diving Head-first into a Suicide Sale

Die erste Juni-Woche brachte dem Picturepark-Vertriebsteam schlechte Nachrichten: Zwei große Vertriebschancen gingen verloren. Das hätte nun eine Diskussion auslösen können, was wir alles hätten tun sollen, um die diese Verkaufschancen zu realisieren. Aber die Antworten auf solche Fragen wüssten wir schon, nur wollen wir es einfach nicht tun.

Müll unter den Teppich kehren

Wer das Absageschreiben des einen Interessenten liest, könnte es mit einer Auftragsbestätigung verwechseln. Es hob hervor, wie gut sich Picturepark während der Evaluation, dem „Proof-of-Concept“ (POC), präsentiert hatte; wie kompetent und hilfsbereit unsere Berater auftraten und wie groß das Vertrauen in uns als Anbieter war. Der potentielle Kunde war beeindruckt von der „DAM Lite“-artigen Benutzeroberfläche, die wir mit Picturepark Ports-Technologie für ihn konfiguriert hatten.

Aber warum haben wir den Verkauf dann nicht abgeschlossen?

Wie sich herausstellte, betraf das Problem weder die Picturepark-Software noch die Beratung. Anstatt die Implementierung innert eines Tages und magische Buttons zur Steigerung des ROI einer DAM-Lösung zu versprechen, hatten wir versucht, nahe an der Realität von Digital Asset Management zu bleiben und Know-how zu DAM zu vermitteln.

Wir gaben Ratschläge zu Themen wie der Entwicklung von Taxonomien und Metadaten-Strukturen und allem anderen, was DAM-Experten dieser Welt in ihren Blogbeiträgen, Büchern und Webinaren empfehlen. Aber nicht immer tragen gute Beratung und Schulungsmaterial dazu bei, dass ein Verkauf zustande kommt. Nach einigen Runden vertiefter Diskussion haben die Entscheider des Kunden ein anderes DAM-System ausgewählt, von dem ihnen gesagt wurde, dass sie damit all ihre Anforderungen mit minimalem Aufwand erfüllt erhalten.

Ich kam nicht umhin zu denken, dass die Tatsache, sich der Realität von DAM zu verschließen mitunter auch der Grund war, weshalb dieser Interessent nach so kurzer Zeit bereits wieder ein neues DAM-System in Betracht zog. Unser Ansprechpartner bestätigte denn auch, dass beim ersten Mal nach dem Ansatz „Müll rein, Müll raus“ („garbage in, garabage out“) vorgegangen worden war, und es schien mir, dass die schließlich versprochene „einfache“ Migration des nun ausgewählten DAM-Anbieters in die gleiche Richtung ging.

Hätten wir diesem Interessenten nicht dazu raten sollen, Zeit in die Entwicklung von Richtlinien, Taxonomien und Klassifikationen zu investieren? Natürlich kann auch Picturepark wie jedes andere DAM einfach unqualifiziert irgendwelche Objekte (oder etwas salopp: „Müll“) aufnehmen. Picturepark kann darüber hinaus auch genutzt werden, um unqualifizierten Objekte im Laufe der Zeit schrittweise zu reduzieren und im Laufe des Betriebs in werthaltige „Assets“ zu wandeln. Vielleicht hätten wir im Wissen schweigen sollen, dass wir dem Kunden diese Dienstleistungen später extra verkaufen könnten, sobald er realisiert hat, dass ein System allein eben noch keine Lösung macht.

Mein Problem als CEO wäre es hier aber gewesen, in unserer Organisation die Leute zu finden, die diesen Weg der Täuschung beschreiten. Unsere Berater wollen, dass unsere Kunden mit Digital Asset Management wirklich erfolgreich sind, und sie zögern nicht, gute Tipps und nützliche Ratschläge zu erteilen. Für unsere Vertriebsmitarbeiter ist die fünfte Erneuerung der Jahresverträge genauso wichtig wie die Neukundengewinnung. Wir bieten Anreize für nachhaltige Lösungen und Kundenbeziehungen und keine Verkaufs-Provisionen.

Philip Axman, unserer Vertriebsdirektor für EMEA und APAC (und ein leidenschaftlicher Vertriebsprofi), sagte mir dazu: „Ich gewinne diesen Kunden lieber in vier Jahren, dann nämlich, wenn er realisiert, dass viele Vertriebler allzu oft nur das wiedergeben, was der potentielle Kunde hören möchte.“

Ich wäre skeptisch in Bezug auf Philips Vorstellung von solch späten zweiten Chancen, wenn ich in den letzten Jahren diese nicht selbst so oft erfahren hätte.

Die Kunst der Ausschreibungs-Manipulation

Der zweite Interessent, den wir nicht überzeugen konnten, hatte uns eine mehr als 200 Seiten lange Ausschreibung gesandt. Schon bei der ersten flüchtigen Durchsicht hatten wir so ziemlich alle Funktionen entdeckt, die einem beim Stichwort „DAM“ überhaupt in den Sinn kommen können. Und obwohl Picturepark vielen gestellten Anforderungen entsprach, haben wir sie in dieser Fülle als unrealistisch eingestuft und uns deshalb entschlossen, nicht an der Ausschreibung teilzunehmen. Welches DAM-System auch immer ausgewählt werden würde – es würde eine Enttäuschung für die Organisation werden. Und eines wollten wir mit Sicherheit nicht: dass diese Enttäuschung das Picturepark-Logo trägt.

Wir hatten der Organisation unsere Bedenken und unsere Entscheidung, nicht teilzunehmen, kommuniziert. Der Interessent kam auf uns zurück und flehte uns beinahe an, doch teilzunehmen. Er ließ uns wissen, dass das Pflichtenheft eine angepasste Fassung aus der Bibliothek eines Analysten war, und dass wir nur grundlegende Antworten geben und die Kosten grob schätzen sollten.

Wie hätten wir ein zweites Mal nein sagen können? Also bearbeiteten wir die Ausschreibung wie gewünscht und nannten dabei auch jene Bereiche klar, in denen Picturepark den hochgesteckten DAM-Zielen möglicherweise nicht voll entsprechen würde.

Als wir den Brief mit der Ablehnung erhielten, erfuhren wir einmal mehr, dass wir uns mit dieser ehrlichen Beratung wohl erneut disqualifiziert hatten – einer Beratung, die wir selbst auch erwarten, wenn wir Verträge zu Enterprise-Software abschließen.

Ich will nun nicht sagen, dass das Urteil des Kunden angesichts der massiven Anforderungen in der Ausschreibung völlig ungerechtfertigt war. Aber von den beiden anderen Finalisten hätte nur einer den Zielen dieses Kunden in etwa entsprechen können. Und ich wusste, dass mittlere sechsstellige Kosten auflaufen würden – in vielen Monaten kundenspezifischer Anpassungen. Der andere Anbieter in dieser Ausschreibung ist bekannt dafür, all das zu versprechen, was man auch nur hören möchte, inklusive erheblicher Preisnachlässe – nur, um in die engere Auswahl zu kommen.

Ich gebe zu, dass ich einen Augenblick daran gezweifelt habe, ob unser Prinzip der Ehrlichkeit und Integrität wirklich in jedem Falle sinnvoll ist. Sollten wir bestimmte Kunden nicht einfach in der Illusion lassen, dass Software all ihre Probleme lösen kann? Investieren sie nicht lieber in „alles ist einfach“, „alles ist integriert“ und „alles ist automatisiert“? Wenn wir wissen, dass Kunden nicht alles, was sie sich wünschen, tatsächlich auch erhalten können – ist es dann unethisch, Limitierungen zu verheimlichen und ihnen ganz einfach die gewünschte Illusion zu verkaufen? Ganz im Wissen, dass wir alles später während der Vertragsdiskussionen oder der Implementierung wieder zu unseren Gunsten umbiegen können?

Ich habe mich an eine Diskussion erinnert, die ich kürzlich mit David Diamond führte. Es ging um die Entscheidung, die berühmte Golden Gate Bridge in San Francisco mit einem Netz auszustatten, um Selbstmörder nach dem Sprung vom sicheren Tod abhalten zu können. Kann eine solche Einrichtung tatsächlich Selbstmorde reduzieren, oder zwingt sie Selbstmörder nicht einfach dazu, sich eine andere Möglichkeiten zu suchen? Wenn wir uns auf das Lügen in Ausschreibungen einließen, böten wir Kunden einen ähnlichen Schutz, von dem sie nicht einmal wüssten, dass sie ihn benötigten und der weiter nicht viel bringt.

Aber diese Gedanken verloren den Kampf mit dem inneren moralischen Kompass eines CEO: Ich bin auf lange Sicht verantwortlich für glückliche Kunden (und Mitarbeiter) und muss deshalb sicherstellen, dass wir unseren Kunden mit einem gewissen Berufsstolz und hoher Integrität dienen. Wenn nicht, sind wir alle schlechter gestellt, verbrauchen viel Zeit und Geld, und verspielen die Glaubwürdigkeit.

Drei Schritte vorwärts, zwei Schritte zurück

Der Versuchung eines schnellen Verkaufserfolges zu widerstehen, ist nicht leicht – vor allem, wenn man weiß, wie das Spiel läuft. Der Wettbewerb ist hart und schmutzige Tricks sind an der Tagesordnung. „Warum sollen wir es denn nicht auch tun“ kann eine überzeugende innere Stimme sein, speziell da kurzfristige Abschlüsse so wertvoll sind für Finanz- und Marketingzwecke. Aber solch „trügerische Verkäufe“ bringen ebenso wenig wie sich die Sicht auf das Leben ändert, wenn man sich in einem Netz unter einer Brücke wiederfindet.

Ich glaube fest daran, dass es nicht unsere Aufgabe ist, nur eine Software zu verkaufen – es ist auch unsere professionelle Verantwortung, Interessenten zu führen und sie auf die Grenzen aufmerksam zu machen, die wir sehen und voraussehen. Manchmal kostet das eine Lizenz, die wir weniger verkaufen. Aber es dürfte auch genau derjenige Grund sein, warum die Rate unserer jährlichen Vertragsverlängerungen so außergewöhnlich hoch ist.

In den wenigen Wochen nach diesen beiden Absagen erreichte uns eine Welle positiver Kaufentscheidungen von Interessenten, die unsere Software über längere Frist eingehend evaluiert hatten.

Und für die beiden verlorenen Ausschreibungen wurde in unserem CRM-System das „Nachfassen“ in zwei Jahren notiert.

Keine Vertriebsgrundsätze wurden geändert.